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Stereotyp und Rolle Prof. Dr. Christine Morgenroht zur Serie short cuts Kurze Schnitte- so heißt auch ein Film von Robert Altman, der in verschiedenen Sequenzen aus dem us-amerikanischen Alltag die Psychopathologie dieser Gesellschaft darstellt und wie unter einem Brennglas sichtbar macht, was sonst unter dem Mantel von Routine und Alltäglichkeit sich gar nicht mehr der bewussten Wahrnehmung stellt. Die short cuts also als Zitat, das auf einen anderen Künstler und auf eine andere Kunstform zurückverweist. Auch die ausgestellten Bilder sind Zitate, Tryptichon, Polyptichon... Tafelbilder, in denen aber keine Geschichten erzählt werden, die direkt aufeinander bezogen sind. Vielmehr werden Bilder von extremer Gegensätzlichkeit miteinander kombiniert. Ein sehr formal-abstraktes, organgefarbene Streifen, die aussehen wie Negativ-Filme, nebeneinander aufgehängt und in Farbe getaucht. Daneben ein Comic-Kopf, ein junger Mann, gut aussehend, mit einer Träne auf der Wange- in doppelter Ausführung, Superboy, sich selbst ansehend, sein eigener Klon... gleiche Gesichter- gleiche Streifen das Gesicht in Öl, die Streifen in Acryl, der Auftrag der Farbe höchst unterschiedlich bei genauer Betrachtung.... Es verbindet sie ein gemeinsamer Titel: Sorry. Es tut mir leid - ja. wem denn und was überhaupt?? Reicht dieser kurze Kommentar aus, diese beiden Bilder miteinander zu verbinden? Zunächst ist die Wirkung verblüffend. Durchaus von hohem Reiz, jedoch weniger ästhetisch ansprechend als herausfordernd, der Frage nach dem Sinn dieser Kombination auf den Grund zu gehen. Comic als Kunstform (wie sie von Roy Liechtenstein z.B. gestaltet wurde) -gegen die völlige Abstraktion (der orangefarbenen Streifen) die in eigenartiger Rhythmisierung auf dem Weiß erscheinen. Die Abstraktion kommentiert die Konkretion? Die Banalität der sich selbst verdoppelnden Comicfigur (Sorry, dass ich so profan bin) gegen den Purismus von Farbe und Form (Sorry, dass es so hohe Ansprüche in der Kunst gibt). Der Kunstkritiker, der die einführende Rede hielt, gab sich als äußerst gebildeter Kenner der Szene und politisch denkender Mensch zu erkennen , er kritisierte die falsche Entgegensetzung von Sozialem und Kulturellem und verortete den Künstler in der Postmoderne, der nicht wie Marx die Veränderung durch Handeln und neues Denken in Angriff nimmt, vielmehr als Kommentator der vorgefundenen Verhältnisse auftritt und so dazu beiträgt, diese besser zu verstehen. Und damit die Voraussetzungen verbessert, dass die Menschen Motive für ein veränderndes Handeln entwickeln. Wozu regt diese Art der Kunstproduktion und Präsentation die Betrachterin an? Zunächst einmal zwingt sie umgehend zum Innehalten. Diese Kombination von Gegensätzlichem ist eine Provokation üblicher Sehgewohnheiten, hier werden keine Gefälligkeiten geliefert. Wer sich darauf einlässt, stößt sehr schnell an Grenzen des alltäglichen Verstehens. Die Vereinbarung von Stilen, Formen, Aussagen, die eigentlich komplett entgegengesetzt sind“ eben als unvereinbar gelten, oder doch so wahrgenommen werden - in dieser Zumutung steckt der Kern. Der Betrachter muss sich selbst vergegenwärtigen, mit welch profanen Bilderwelten der eigene Kopf bevölkert ist, wie durch die Beschleunigung von Informationen etwa auf dem Bildschirm nur der tägliche Nachrichtenüberblick präsentiert wird. Die Struktur der Wahrnehmung beginnt sich an diese Überflutung mit bestimmten Reizen derart anzupassen, dass eine schnelle Schnittfolge (auf dem Bildschirm), in der ja beständig beliebige thematische Kombinationen aufeinander folgen, aneinander gereiht sind - das Normale ist. Die überschnelle Bewegung, die rasende Folge. Hier nun scheint zunächst ein ähnliches Prinzip am Werk zu sein, Unvereinbares ist miteinander auf Stoss zusammengekommen. Jedoch nicht im blitzschnellen Fluss, sondern als Standbild. Die geronnene Folge - die zusammengeschossene Unvereinbarkeit. Erst in dieser Erstarrung entsteht eine neue Bedeutungsebene, durch Stillstellung gerät die Sprache des einzelnen Bildes in Kontakt zu der Sprache des anderen Bildes. Erst jetzt beginnen sie sich gegenseitig zu befragen und erst durch die Starre des im Augenblick eingefrorenen Ausdrucks - und der Ausdruck ist eben hier einer der zwangsweisen Vergemeinschaftung, entsteht etwas einzigartig Neues. Eine andere Bilderfolge -links der junge John Wayne in Grüntönen- in der Mitte ein wildes expressionistisches Farbgewirr in Grün und Orange, Urwald - Assoziationen in dickem Farbauftrag - und rechts eine Madonna mit dem Kind in Orange - eine Bilderfolge, in der mit den Stereotypen von Geschlechtsrollen gespielt wird. Der Macho, cool und markant, ein Prototyp und ein Symbol der modernen Filmindustrie, derer überwiegend als Westernheld zur Verfügung stand, der einsame Cowboy und ewige Verfechter des Guten, mit schaukelndem Gang immer den Blick auf etwas in der Ferne am Horizont gerichtetes - so kennen wir ihn, so lieben oder verwerfen wir ihn. Aber niemand, der ihn nicht kennen würde, dieser Ausdruck ist fester Bestandteil des Alltagsbewusstseins und seiner Bilderwelt. John Wayne als Prototyp des präfeministischen Männlichkeitsstereotyps. Ihn hat man im Film selten mit Frauen gesehen, war er je in einen innigen Kuss versunken, zeigte er weiche Gefühle, war er in einem seiner Filme einmal verliebt? Einer wie er zeigte sich als der reine Mann, handfest, zupackend, einsam, ungebunden. Daneben die Madonna mit dem Kinde, pure Hingabe an Mütterlichkeit, in der europäischen Geschichte und Ikonographie als Ausdruck der reinen Frau, der Mutter als Heilige, die von Sinnlichkeit und eigenem Begehren befreite. Gereinigte Frauengestalt, reine Zuwendung, Aufgehen in Beziehungsleben, die Mutter dieses Kindes lebt nur für das Kind. Kein Bezug auf das andere Geschlecht als sinnliches Gegenüber, als Ergänzung des eigenen Begehrens, als Pendant zur Bereicherung durch Verschmelzung erwachsener (gegengeschlechtlicher oder gleichgeschlechtlicher) Erotik. Beide Bilder sind also in extremer Verdichtung eine Darstellung traditioneller Geschlechtsrollen - als Vorstellung, als Vorgabe, als normative Aufforderung. Und welche Darstellung findet sich in der Mitte zwischen diesen beiden Bildern? Das Chaos, eine Explosion von archaischem Material, Farbe scheinbar gestaltlos und unvermittelt aufgebracht, wie im Rausch hingeworfen und vermischt. Mann und Frau - ist es das, was zwischen ihnen entsteht, wenn sie sich begegnen, sobald sie die sicheren Bezirke der unsinnlichen Stereotype verlassen. Wenn sie als Menschen von Fleisch und Blut, mit all ihren eigensinnigen und widersprüchlichen Ansinnen, Bedürfnissen und Vorstellungen sich tatsächlich begegnen, sich „erkennen“ wie die Bibel das so hinreißend ausdrückt. Denn sie begegnen sich ja nicht als Prototypen, als Verkörperungen von Rollenvorschriften, sie begegnen sich als Begehrende, und diesem Erkennen folgt zumeist auch ein erstauntes Innehalten: was heißt das jetzt? Weiche Möglichkeiten tun sich auf? Habe ich richtig verstanden? Geht es dem anderen genauso? Und was folgt daraus? Die Antwort in diesem Triptychon gibt das mittlere Bild - es scheint das pure Chaos zu sein. Aber Liebe und Leidenschaft, die ja folgen, wenn das Erkennen sein darf, sind ja ein Ungestüm, Trieb und Antrieb und ein Umtrieb - wenn die Liebe explodiert, hat das keine wirkliche Gestalt, keine Form, was da zwischen diesen beiden Liebenden geschieht. Wenn der Mensch hinter der Rolle sich dem aus der Rollenvorgabe Ausgesparten zuwendet, geht jede Struktur verloren. Heißt das, jenseits der Rollenstereotypen liegt nur Unsicherheit und Chaos? Oder ist es nicht vielmehr eine neue Frage, die hier aufgeworfen wird. Danach, was bleibt, wenn Frau und Mann auf ihre bloße Rolle reduziert werden, dass Beziehung und Gestaltung dann nicht möglich ist, wenn von Subjekthaftigkeit und Besonderheit abgesehen wird. Dass die Stereotypen unserer Normen nicht helfen dabei, ein wirkliches Leben zu füllen, in seiner Widersprüchlichkeit zu leben. Was ist der Kern dieser Bildfolge? Ich lese es als zutiefst empfundene Irritation in Hinblick auf alles, was zwischen Frau und Mann gegenwärtig geschieht- vielleicht ein Verlust von Sinnlichkeit in der Begegnung der Geschlechter. Eine stereotype Struktur, die in ihrer Entgegensetzung auch Sicherheit und klare Orientierung verspricht und daher Halt gibt. Die beiden können sich aber so nicht begegnen, nicht erkennen. Und was dazwischen liegt, ist eine unübersichtliche, verwirrende, verstörende Wildheit. Die bleibt aber ungeklärt, sie ist Verweis auf die Abgründe (in den Beziehungen, in der einzelnen Seele jenseits der Geschlechtsrolle - aber bezogen auf das je eigene Geschlecht. Denn auch das wird ja Thema in diesem Triptychon: es gibt kein Leben jenseits der Geschlechtlichkeit, jeder Mensch ist in seinem Sein auch auf das eigene Geschlecht verwiesen“ das ihr und ihm als Körperstruktur und als gender-Zuschreibung in die Seele geschrieben ist, vor dieser Seite der Existenz gibt es kein Entrinnen, auch wenn das (durch stereotypen Halt) gelegentlich durchaus wünschenswert wäre. Was wir da zu sehen bekommen, ist verstörend. Wir suchen nach Antworten und finden neue Fragen? Was für eine Gemeinheit. Dennoch liegt in diesem kurzen Zusammenschnitt auch eine Vision (oder doch nicht?) Das Chaos als Ursuppe kann ja Neues hervorbringen, jenseits von Stereotyp und Rolle liegen die Wirklichkeiten lebendiger Menschen, die ein Bedürfnis haben, den Boden zwischen ihnen zu beackern, das ist Kulturarbeit im engen und buchstäblichen Sinne - eine neue Kultur von Beziehung und Familie zu entwerfen - so könnte die Vision lauten, und den Mut zu entwickeln, schrittweise und mit immer wieder großer Gefahr der Erfolglosigkeit sich zu konfrontieren. Dennoch nicht aufzuhören damit, sich dem gegenwärtigen zu konfrontieren. Und das ist (soweit es das Leben in Beziehungen und Familie betrifft) in großem Umfang geprägt durch Stereotyp und Rolle. Nur durch das Stillstellen wird die Brutalität erfahrbar, mit der diese Reduktionen wirken, erst durch Erstarrung im Prototyp kann die Dynamik des Dazwischenliegenden, die Brisanz des Ungesagten, die Lebendigkeit des Ausgesparten - sich wirklich entfalten. Das verbindende Dritte ist die Befreiung aus den Festlegungen. Das macht die Rückkehr zu einem Rohen, Unbearbeiteten notwendig. Die „wilde Mitte“‘ ist mehr als die Allegorie auf Trieb und Unbewusstes, auch mehr als eine Metapher für Beziehungswirren in Zeiten von Individualisierungsschüben: es ist auch ein Zeichen für Ressourcen“ die in der Nicht-Strukturierung liegen. Durch die Negation festgelegter Bildsprachen entsteht ein neuer Raum - den können wir Hoffnung nennen oder Potential oder .... er wird aber erst sichtbar durch die stumme Konfrontation mit den starren, unbeweglichen Strukturen von Geschlechtsrollen - und er verweist auf die möglichen nächsten Schritte, mit denen diese engen Bilder von Mann und Frau verlassen werden können - sie sind ein Produkt historischer Lebensbedingungen, sie werden immer wieder neu erzeugt durch die jeweiligen Kulturproduktionen, mit denen eine Gesellschaft ihre Symbolsprachen entwickelt und einsetzt, um ihre Mitglieder gerade in der benötigten Weise zu erziehen. Das hat Elias den Prozess der Zivilisation genannt.